aus der Perspektive von bildender Kunst
„You cannot be spontaneous within reason.“
Allan Watts
Improvisation ist der spontane Gebrauch von Kreativität zur Lösung von Problemen – nicht auf abstrahierenden und rationalen Überlegungen beruhend, sondern eher auf Bricolage (Bastelei), also der phantasievollen Kombination von Bruchstücken der sinnlichen Wahrnehmung und vergangener Ereignisse.
Freie Assoziation
Freies assoziieren heißt, alles äußern, was wir gerade erleben und in uns wahrnehmen, was in uns geschieht: im Körper, in den Empfindungen und Gefühlen, in den Erinnerungen und Wünschen, in den Vorstellungen, der Phantasie und im Denken. Aber können wir frei assoziieren ohne jegliche Vorgabe? Oder gehen wir immer aus von einer Vorgabe oder Anregung?
Die freie Assoziation ist in Sigmund Freuds Psychoanalyse die Hauptregel und die einzige unentbehrliche Methode um das Unbewusste zu erforschen. Sie stellt mit der „Traumdeutung“ und der „Analyse der Fehlleistungen“ eine der drei wichtigsten technischen Mittel der klassischen Psychoanalyse dar. Die Klienten sollen in der Therapie ihren Einfällen (Assoziationen) zu Personen, Ereignissen, Dingen oder Symbolen völlig freien Lauf lassen, ohne ihre Äußerungen zu zensieren, auch wenn sie ihnen als unpassend, unangenehm, sittenwidrig, unsinnig oder unwichtig erscheinen.
Es erheben sich zwei Fragen: was ist frei assoziieren „ohne jegliche Vorgabe“, was bedeutet es, den Assoziationen „völlig freien Lauf lassen“. Die erste Frage betrifft das Setting, die zweite Frage die innere Bereitschaft. Auf beide Fragen lautet die Antwort: ist immer nur eingeschränkt möglich. Der Raum ist nie völlig leer, Vorgaben sind also unausweichlich vorhanden. Der völlig freie Lauf der Gedanken lässt Verbote nicht zu, Zensurverbote sind auch Verbote.
„Freie Assoziation“ ist ein gedankliches Konstrukt, wie etwa die vollkommene Leere oder das Nichts, die in der Wirklichkeit nirgends zu finden sind. Der freie und losgelassene Zustand ist nur ein Ideal, ein Relativ. Assoziationen sind immer bedingt.
Was sind die Bedingungen der Assoziation? Was treibt die freie Assoziation voran? Was schränkt sie ein? Wovon ist sie abhängig? Kann bewußt angeregte, stimulierte Assoziation die Ergebnisse der Improvisation verbessern? Und was heißt „verbessern“ in diesem Zusammenhang?
Freie Assoziation, der unzensurierte Einfall, ist ein wichtiger Bestandteil von Kreativität.
Improvisation ist ein Handeln, das mit Unvorhersehbarkeit und Kontingenz spielt, ein praktisches Handeln, das nicht auf Planung beruht. Improvisation bezieht wichtige Impulse aus dem aufmerksamen gegenwärtig sein und aus freier Assoziation.
Freie Assoziation und Improvisation fangen nicht bei Null an, denn sie finden auch immer Voraussetzungen: eigene Erfahrungen, Raum, Zeit, Material, Mitwirkende und Kommunikation. Diese Voraussetzungen liefern uns einer gewissen Bedingtheit aus. Die Planung der Unvorhersehbarkeit ist also die unmögliche Möglichkeit der Improvisation. Die Freiheit ist immer beschränkt. Die Sprache ist immer schon vor uns da. Doch sind wir nicht völlig determiniert bzw. können wir uns unserer Determiniertheit nie voll bewußt sein.
Erwartungen (von Bekanntem, von gewohnter Schönheit, von beruhigender Wiedererkennbarkeit, von Gewissheit) an die künstlerische freie Improvisation werden zwangsläufig enttäuscht. Doch genau deshalb kann Improvisation genußvoll erlebt werden. Dazu ist es nur notwendig, aufmerksam gegenwärtig der Performance zu folgen und sich auf die Emergenz von unvorhersehbaren Formen einzulassen. Improvisation ist Entdeckung, nicht Erfindung. Improvisation ist auch ein kindliches Vergnügen und die freudige Verweigerung der Anbetung des ZNS.
Künstlerische Improvisation
Das Kind beginnt aus reiner Freude an der Bewegung des Stiftes und an den Spuren, die dieser hinterlässt zu zeichnen – Kritzeleien in Strichen, Spiralen und Kreisen. Die Kombination dieser Grundelemente zu Symbolen erfolgt im nächsten Stadium.
Künstlerische Improvisation ist eine spannende und lustvolle Art Kunst zu machen.
Sie stellt ein System der Systemlosigkeit dar und ist nicht zielgerichtet. Aus einer Haltung von Offenheit und Nicht-wissen taucht Unberechenbares und manchmal auch Neues auf. Emphatische Verständigung steht im Zentrum. Sie schafft innere Verbundenheit – freundschaftliche Beziehung oder auch Ablehnung.
Improvisiert wird schon lange mittels diverser Medien: Improvisationstheater, Jazz, Kontaktimprovisation usw. Die Surrealisten nutzten z. b. die ecriture automatique, die Frottage, die Anagramm-methode oder Simultangedichte. Freie Assoziation spielt in der künstlerischen Improvisation eine grundlegende Rolle. Bewußte, kognitive Kontrolle und Konzeptualisierung treten in den Hintergrund.
Ich persönlich habe Improvisation in den 1970er Jahren im Afroamerikanischen Jazz kennen gelernt. Den Reichtum dieser Musik konnte ich nur erfahren, nachdem ich mich „hinein gehört“ habe. Oft genug fiel mir das als Europäer ziemlich schwer, besonders beim radikalen Freejazz. Aber dann gab es für mich kaum eine spannendere Musik.
In der bildenden Kunst kenne ich Improvisation im Zusammenhang mit Abstraktem Expressionismus, Gestischer Malerei, Tachismus, Aktionismus oder mit Ungegenständlicher Kunst. Sie alle sind oft sehr regelhaft. Und vor allem hauptsächlich solistisch.
Unter visueller Improvisation verstehe ich Improvisation mit den Mitteln der bildenden Kunst. Faktoren für visuelle Improvisationen sind die gleichen, wie auch für andere Improvisationsmedien: Achtsamkeit im Hier und Jetzt, mein Körper, meine Sensibilität, meine Erfahrung und Prägung, weiters Medium, Material und Werkzeug, Raum und Zeit, kommunikativ oder solo.
Eine sehr komplexe Anforderung stellt die transdisziplinäre Improvisation dar. Sie besteht im gleichzeitigen Zusammenwirken von Künstlerinnen und Künstlern mehrerer Kunstsparten (bildende Kunst, Musik, Tanz, Sprache) über kulturelle Grenzen hinweg. No limits. Kommunikation in verschiedenen Sprachen. Dass es da Verständigungsschwierigkeiten gibt, versteht sich von selbst. Es bleibt nichts anderes übrig, als unvoreingenommen und achtsam alle Sinne zu spitzen und die künstlerischen Fähigkeiten ungefiltert einzusetzen. Das höchste Glück besteht dann im Gefühl einer gelungenen Verständigung. Die ästhetische Beurteilung einer Improvisation ist sowieso immer post festum und subjektiv.
Kommunikation
Die Etymologie des Wortes Improvisation sagt uns nichts über die heutige Praxis von Improvisation. Ich denke, Improvisation ist eine Form von Kommunikation, in der Informationen ohne vorher definierte Regeln übertragen und ausgetauscht werden. Das erfordert von allen Beteiligten Wahrnehmungsfähigkeit und Achtsamkeit, sowie Kenntnis des Materials.
Optimale Bedingungen für freie Improvisation als Kommunikation sind:
- Offenheit: Alle haben die gleichen Chancen auf Initiation und Beteiligung, auf Setzung und Widerspruch ohne irgendeine Zeitbegrenzung.
- Transparenz: Alle haben die gleichen Chancen Deutungen, Behauptungen, Empfehlungen, Erklärungen und Rechtfertigungen aufzustellen und deren Geltungsanspruch zu begründen, zu problematisieren oder zu widerlegen, so dass keine Vormeinung auf Dauer der Thematisierung und der Kritik entzogen bleibt.
- Herrschaftsfreiheit: Alle haben die gleichen Chancen zu befehlen, sich zu widersetzen, zu erlauben und zu verbieten. Realitätszwänge sollen aufgehoben und ein erfahrungsfreier und handlungsentlasteter Kommunikationsraum soll eröffnet werden.
- Wahrhaftigkeit: Alle haben die gleichen Chancen Einstellungen, Gefühle und Intentionen zum Ausdruck zu bringen. Dadurch soll erleichtert werden, dass die Beteiligten sich selbst gegenüber Wahrhaftigkeit entwickeln und ihre innere Natur in Erscheinung treten kann.
Wir können uns auf die Suche nach Verständigung begeben oder uns an zuvor gesetzten Zielen orientieren.
Wir können uns von der Intuition, vom gefühlt Wahren und Richtigen leiten lassen oder unsere Interessen durchsetzen wollen.
Wir können uns von der Bedeutsamkeit der Performance bestimmen lassen oder von der Autorität der Beteiligten beeinflussen lassen.
Wir können nach dem gemeinsamen Richtigen suchen oder blind und trotzig unser „Recht behalten“ durchsetzen.
Wir können uns vom besseren Ausdruck überzeugen lassen oder vom Trickreichen überrumpeln lassen.
Wir können uns um die Verbesserung unserer eigenen Materialbeherrschung bemühen, oder mit Routine täuschen.
Interdependenz bedeutet wechselseitige Abhängigkeit. Auf einer grundlegenden Ebene besteht Interdependenz darin, dass wir uns zu anderen Menschen nicht persönlich verhalten können – mit Ihnen kommunizieren, mit ihnen umgehen –, ohne uns auszuliefern. Sich an einen anderen zu wenden, ihn anzusprechen, schließt die Erwartung ein, von dem anderen ernst genommen zu werden und Antworten zu erhalten. Eine solche Erwartung ist eine Entblößung, eine Selbstauslieferung. Und in der Selbstauslieferung des Einen liegt die Macht des Anderen.
Vor, während und nach der improvisatorischen Performance kommt es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten. Das ist gar nicht zu vermeiden. Diese wollen ausgetragen, vielleicht vertieft oder auch beseitigt werden. Die Auseinandersetzung, die Reaktion auf einander ist notwendiger Bestandteil jeder Improvisation. Denn nicht Eine / Einer hat die richtige Auffassung, sondern wir erschaffen gemeinsam unsere Welt, in der wir leben. Wenn Jemand aus der gemeinsamen Improvisation aussteigt, so ist auch das Teil der Improvisation. Allerdings eher ein Liebesentzug, eine Nichtanerkennung der Berechtigung einer anderen als der eigenen Setzung. Das wäre ein bedauerliches Scheitern.
Nicht jede Improvisationsbehinderung ist aber gleich ein Scheitern. Vielleicht kann durch Hindernisse die Aufmerksamkeit verstärkt auf die Präsenz statt auf ein fragwürdiges Ziel der Improvisation gelenkt werden. Improvisation ist eben nicht eine Kommunikation, die auf das eindeutige Ziel der unmissverständlichen Informationsübertragung ausgerichtet wäre. Schließlich ist Kommunikation kein Instrument der Wahrheitsfindung, sondern ein Prozess der Verständigung.
Neue gesellschaftliche Verhältnisse bringen eine neue Ästhetik, oder umgekehrt. Für die Verständigung in neuen gesellschaftlichen Verhältnissen kann Improvisation eine Übung in der Beobachtung und Wahrnehmung von neuen Konventionen und Codes sein. Dazu muss auch die Improvisation aus ihren alten Praxen heraus treten. Das Ausreizen von improvisatorischen Möglichkeiten mit digitalen Medien und neuen Instrumenten etwa kann helfen, die Kreativität des Einzelnen gegen die Überwältigung durch Internet und Massenmedien zu stärken.
Augenblicke
Ein Augenblick dauert so lange, wie er eine ästhetische Erfahrung der Geschlossenheit einer sehr kurzen Zeitspanne und der Einmaligkeit aufweist. Unsere Vorstellungen verführen zum Genuss der Augenblicke.
Derrida bei Coleman
In einem Interview meinte Jacques Derrida 2002: „I believe in improvisation, and I fight for improvisation, but always with the believe that it is impossible.“
Wie das? – Von nichts kommt nichts. Es ist immer schon etwas vorhanden in unserem Gedächtnis und in unserer Kultur. Wir sind zur Wiederholung von Bekanntem gezwungen. Trotzdem ist die Zukunft nicht voraussagbar. Es gibt immer etwas Unerwartetes, Ungeplantes, Unvorhergesehenes. Zwischen diesen beiden Polen bewegen wir uns. Auch wenn man die Möglichkeit von Improvisation grundsätzlich abstreitet, Strategien zur Herbeiführung von Unvorhersehbarkeit sind immer möglich.
1997 stand Derrida gemeinsam mit dem Erfinder des Freejazz, Ornette Coleman, in Paris auf der Bühne und performte folgenden Text: „What’s happening? What’s going to happen, Ornette, now, right now? … This chance frightens me, I have no idea what’s going to happen.“ Und weiter: „As all of you see, I have a sort of written score, you think that I am not improvising, well, you are wrong. I am pretending not to improvise, I just pretend, I play a reading, but by improvising.“ Derrida wurde von der Bühne weg gebuht.
Was war passiert? – Wenn Derrida hier lügt, dann liest er einen Text vor. Wenn er die Wahrheit sagt, dann ist das, was das Publikum wahrnimmt – Derrida liest einen Text – nicht wahr. Dieses Paradox zeigt, dass die Wahrnehmung der Performance die Bedeutung determiniert. Der Sprecher selbst weiß nicht, wie die Performance aufgefasst wird. Die Rezeption der Performance ist nicht vorhersehbar.
Nun ist es ein Wesensmerkmal der Kommunikation selbst, dass sie funktioniert, weil die Bedeutungen von Zeichen, Wörtern, Text und Sprache nie völlig kontrolliert und vorhergesagt werden können. Die Wiederholbarkeit der Zeichen / des Textes ändert nichts daran, dass die Bedeutung in der Wahrnehmung der Anderen liegt und nicht oder nicht nur im gesprochenen Text.
Künstlerische Improvisation will erkennbar erfinderisch sein, unterscheidbar vom bereits Gewussten und vom Voraussagbaren. Und damit ist sie vice versa abhängig vom bereits bekannten kulturellen Wissen, gerade auch, wenn sie sich davon abgrenzt. Neue Einfälle und alternative Erfindungen sind dann in verschiedenen Methoden der Vermittlung zu finden, in verschiedenen Formen der Präsentation und im Bruch von bekannten Regeln (d.h. im Rückbezug auf Bekanntes, in der unterschiedlichen Wiederholung von Zeichen).
Die Unmittelbarkeit der live Performance aktiviert den Erfindergeist bzw. den Einfallsreichtum und ladet gleichzeitig zur Wiederholung ein. Das Ergebnis ist offen und kann in der Kommunikation gedeutet werden.
Bildfindung
nichts ausdenken
kaum entwerfen
wenig konstruieren
Impetus
von Innen und aus der Welt
von Kunst Musik Tanz Literatur
ein kommunikativer Akt
eine Improvisation
eine Koinzidenz
ent-wickeln
überlagern
zerstören und neu zusammensetzen
Material
Werkzeug
Grammatik erkunden
hineinschauen
zusammenschauen
Emergenzen
ankommen
ein Ziel ahnen
fertig stellen
zuerst die Sinne
dann der Gedanke
am Schluss das Wort (der Titel)
KunstbeTriebsCompany
Der KunstbeTrieb in Wien ist eine Space Station zum andocken für Künstler*innen, Gruppen und andere Astronaut*innen.
Hier wird Kunst betrieben, aus einem Trieb heraus, nicht um berühmt und reich zu werden.
Der Name ist ein Zeichen, ein Kürzel – ein WSCH. Ein Kürzel für transdisziplinäre Improvisation. Für den heiligen Ort der Kommunikation.
KunstbeTriebsCompany ist die vorgetäuschte Einheit einer disparaten Gruppe für freie Improvisation.
KbTC entwickelt ihre Projekte als freie oder manchmal als thematisch gebundene Improvisation. Die Künstler*innen verstricken sich in der Kommunikation bis zur Ratlosigkeit. Und sie zerlegen dabei ihr Material, betrachten die Bruchstücke und Einzelteile, entkleiden sie ihrer ursprünglichen Funktion und generieren etwas anderes, Neues, Unvorhersehbares daraus. Sie sind Bastler*innen, sie betreiben performative Bricolage.
Die Proben erfolgen möglichst als öffentliche Performances. Die Performances erhalten gelegentlich einen Titel.
Das Gesetz
Immer wieder fühle ich einen merkwürdigen Drang, Ziele zu verfolgen. Auch fordern meine eigene Moral, mein Überich, meine Werte und Ideale, in der Welt wirksam zu werden.
Es sind keine ausgedachten und angestrebten Ziele, die ich erreiche. Es sind viele kleine, meist unbewußte Entscheidungen an Weggabelungen, die dann zu einem unvorhergesehenen Ergebnis führen, das dann so aussieht, als wäre es beabsichtigt gewesen. Ob sich auf diesen Wegen die Stimme der Vernunft durchsetzt, weiß ich nicht. Ich kann darüber kein Urteil abgeben. Der Weg geht weiter.
Ich beginne etwas, von dem ich glaube, dass es sinnvoll ist, ohne jedoch zu wissen, wohin es mich tatsächlich führen wird. Alle Stationen sind vorübergehend. Die Entwicklung geht weiter. Ein Endpunkt wird nicht erreicht. Manchmal sieht ein Wegstück aus, als würde es immer gleichförmig so weiter gehen. Vielleicht sollte ich umkehren? Achtung vor dem Holzweg, auf den man besser nicht gerät, indem man rechtzeitig abzweigt. Doch ich weiß nicht, wohin die nächste Abzweigung führt.
Wege gehen, stehen bleiben, abbiegen, herum schlendern, wandeln, hierhin und dahin. Dazwischen Stationen. Die Übergänge beachten, die Windungen und die überraschenden Wendungen.
道可道非常道 Das nennbare Dào ist nicht das absolute (ewige/dauerhafte) Dào.
名可名非常名 Der nennbare Name ist nicht der absolute (ewige/dauerhafte) Name.
無名天地之始 Das Namenlose ist der Ursprung des Universums (von Himmel und Erde).
有名萬物之母 Das Benannte ist die Mutter aller Dinge (der zehntausend Dinge).
Meditation als Aufmerksamkeits- oder Konzentrationsübung nach Innen oder auf äußere Dinge gerichtet. Weg, Pfad, Methode, Prinzip, Fluß, Bewegung, Wandel, … Freie Assoziation, Improvisation – Kommunikation
Es ist denkbar, auf ein Ziel zu fokussieren, aber dann nicht stur dabei zu bleiben, sondern Abweichungen zuzulassen. Anfang und Ende sind offen. Dazwischen ein Fluß.
Der Mensch bewegt sich nicht allein, sondern in einem Schwarm (flock), in einer gemeinsamen Blase (bubble), beeinflusst von den Mitmenschen und allem, was kreucht und fleucht. Alles ist mit Allem verbunden.
Interessanter Weise steht Improvisation in einem System von Regeln, im Rahmen von Improvisationsregeln. Trotz aller Offenheit scheint hinter Allem ein Gesetz zu stehen?
ImproKomm
Soloimpro spielt mit einem vorgestellten Zuhörer bzw. mit sich selbst als Zuhörer und Antwortendem. Aber im Allgemeinen ist künstlerische Improvisation Kommunikation zwischen mehreren KünstlerInnen.
Sprache, allgemein als Verständigungsmittel gemeint, umfasst die verbale Sprache (die Zunge – language), die geschriebene Sprache, die Bildsprache, die musikalische Sprache sowie die Körpersprache, Mimik und Gestik, nicht zu vergessen den Geruch, die Wärme und die körperliche Berührung. Also jeder Input über die Sinne kann als Mitteilung, als Sprache, als Versuch einer Kommunikation gewertet werden.
Ohne Mimik und Gestik ist manches gesprochene Wort missverständlich. Pantomime ist definitiv eine Sprache. Am Ton können wir die Stimmung hinter der Zungensprache erkennen. Ein Bild sagt manchmal mehr als tausend Worte. Musik kann Bilder evozieren. Wir versuchen alle unsere Sinneserfahrungen zu einem zusammenhängenden Ganzen zu integrieren.
Diese Integration erfolgt bewußt und unbewußt. Die Verständigung erfolgt nicht zwingend rational und logisch. Oft besteht die Kommunikation in der Wahrnehmung einer Atmosphäre. Eine rationale Kommunikation will logisch in Zungensprache erfassen können. Wenn diese rationale Art von Verstehen nicht möglich ist, schleicht sich leicht Verunsicherung und Enttäuschung ein.
Es gibt eine Art Improvisation und Kommunikation zu genießen, die nicht auf lückenloser Aufklärung beruht. Das geschieht mit der Frage, was macht diese Kommunikation mit mir, wie geht es mir damit, welche Gefühle und Gedanken ruft die Improvisation in mir hervor. Das erfordert Konzentration und Aufmerksamkeit aller Sinne. Die Antwort ist ein Versuch die Kommunikation fortzuführen, oder auch erst anzustoßen. Die Verständigung kann gelingen oder auch nicht. Ein Versuch ist immer möglich.
Kunst und Musik
name dropping aus verschiedenen Quellen
Pioniere (Beginn des 20 Jhdts.)
August Macke, Wassily Kandinsky, PaulKlee, Alfred Kubin, Franz Marc, Gabriele Münter
Gustav Mahlers 8. Sinfonie, Arnold Schönberg: Kammersinfonie Nr. 1 E-Dur op.9, Alban Berg, Herbert Eimert, Josef Matthias Hauer, Josef Rufer, Anton Webern
Ballet und Musik
Oskar Schlemmer: Triadisches Ballet, 1922, Bauhaustänze
Igor Strawisky, Le sacre du printemps
Stummfilm mit Musik
Fernand Leger, George Antheil: Ballet mécanique
Francis Picabia, Eric Satie: Entr’acte und Ballett Relache
Walter Ruttmann, Edmund Meisel: Berlin. Die Sinfonie der Großstadt, 1927
Sergej Eisenstein, Edmund Meisel: Panzerkreuzer Potemkin
Arnold Frank, Paul Hindemith:ImKampf mit dem Berge
Fritz Lang, Gottfried Huppertz: Metropolis
Grigori M. Kosinzew, Leonid Trauberg, Dmitri Schostakowitsch: Das Neue Babylon
Dadaismus:
Kurt Schwitters: Ursonate, An Anna Blume
Ernst Jandl, Franz Mon, Gerhard Rühm
Konstantin Wecker: Variationen über ein Thema von Kurt Schwitters
Freundeskreis: A-N-N-A (Hip-Hop)
Jazz, Schlager und Performance
Josephine Baker, Marlene Dietrich, Anita Gerber (Wien), Romare Bearden, Aaron Douglas, Archibald J. Motley
Jazz in Malerei
Otto Dix, Max Beckmann, Frantisek Kupka, Orphismus, Guillaume Appolinaire, Robert Delaunay
Nach dem 2. Weltkrieg
Parallelen von Malerei und Musik:
Theodor W. Adorno: Philosophie der neuen Musik, Informell (Affinität zur Musik v.a. Jazz), Jackson Pollock, K.O. Götz, Hermann Nitsch (O.M. Theater), Absolute Malerei (Formenvokabular, Kompositionsmaßstäbe), Blinky Palermo, Max Ackermann
Zwölftonmusik, Serielle Musik, Atonale Musik, expressionistisch, umweltimitierend, Materialnaturalismus
Edgar Varese, Arthur Honegger, John Cage, Boguslaw Schaeffer
Grafische Notation, Musikgrafik
Morton Feldmann: Projections, Rothko Chapel, Coptic Light, Iannis Xenakis: Computer UPIC, Roman Haubenstock-Ramati: Pour Piano, Anestis Logothetis, Gerhard Rühm: visuelle musik
Klangkunst
Nelson Goodman (Philosoph): Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie, 1968, William Engelen: Verstrijken, 2007, Carsten Nicolai: Fades, 2006, Henning Christiansen, Brian Eno, Gary Hill, Rolf Julius, Mauricio Kargel, Christian Kubisch, Lactitia Sonami, Red White
Reduktion, Minimalismus
Carl Andre, Dan Flavin, Donald Judd, Sol LeWitt, Robert Morrison, Ad Reinhardt, Steve Reich, Philip Glass, Terry Riley, La Monte Young (Frequenzforschung), Olivier Messiaen: Mode de valeurs et d’intensités, Pierre Boulez: Structures I, Karlheinz Stockhausen: Kontra-Punkte , Gruppen, Musik für ein Haus, Studie II
Op-Art
visuelle Vibrationen, Frequenzforschung, Kenneth Noland, Bridget Riley, Jesús Rafael Soto, Frank Stella, Victor Vasarely, Hanne Darboven: Wende, Kinder dieser Welt, Yves Klein: Symphonie Monoton – Silence
Fluxus, Free Jazz
La Monte Young – Kooperationen mit: Georges Macunias, Jackson Mac Low, Henry Flynt, Toshi Ichivanagi
John Cage: 4’33
Joseph Beuys: Infiltration Homogen für Konzertflügel (präpariertes Klavier)
Nam June Paik: Participation TVs (modifizierte Fernsehapparate)
George Brecht: Candle Piece for Radios
Yoko Ono, Peter Brötzmann: Machine Gun (noise Album), Red Hot Chili Peppers: Can’t Stop ( One Minute Sculptures, Erwin Wurm)
ein Nichts, eine Stille als Ausgangspunkt
Popkultur
atonal und minimal, elektronische Musik: Struktur, Klang, Konsistenz, Minimoog Synthesizer
Kraftwerk: Autobahn, Trans Europa Express, Holly Herndon: Movement (2012), Proto (2019) „Spawn“ (KI entwickelt mit Mat Dryhurst), Wolfgang Tillmanns: Fotograph der Clubszene, eigene Songs: Feel The Night, Peaches, Albert Oehlen, Scooter: Hyper Hyper
Ausstellungen, Onlineangebote
Nan Goldin, Carsten Nicolai, Sarah Morris
Covergestaltungen:
Raymond Pettibon, Richard Prince, Gerhard Richter
Blick auf Musikergestalten:
Sven Marquard, Thomas Ruff, Andrea Stapert
Musik beim künstlerischen Schaffensprozess von:
Eaberhard Havekost, Frank Nitsche, Thomas Scheibnitz, Hans Staudacher
Hip-Hop
Graffiti, Breakdance, Sportswear, hybride Kultur, Forderung nach Respekt, Straßenkultur, Walter Dahn – Die Partei, Die Hornissen, #9Dream, Christoph Mascher, Paul Simon Krüger, Jean-Michel Basquiat, Al Diaz, Philipp Clasen, Oliver Voss, Andy Waehols Factory, Velvet Underground, Nico, Lou Reed
Punk
The Who, Vivienne Westwood, Sex Pistols
Situationistische Internationale:
Asger Jorn, Guy Debord, Martin Kippenberger, Szenetreffpunkt SO36, Club, Ausstellungsprogramme
Filme: Charlie und John Ahearn, sowie Tom Otterness
Lydia Lunch, Elvira Bach, Bernd Zimmer, Helmut Middendorf, Imi Knoebel – Raumkonzept für Clubs, Tödliche Doris, Einstürzende Neubauten, DAF, Palais Schaumburg: Holger Hiller, Thomas Fehlmann (Kunsthochschule Hamburg) Dada, Goldene Zitronen, Sonic Youth – Kim Gordon, Lee Ronaldo, Robert Longo, Mike Kelly, Tony Oursler
Covergestaltungen:
Dan Graham, Christopher Wool
Freie Vielfalt, Sampeln, Remixen, Musikalische Grafik, keine Unterscheidung zwischen „Gegenstand“ und „Abstraktion“, Verknüpfung von malerischen, skulpturalen, forografischen, filmischen, installativen Methoden:
Franz Ackermann, Kartharina Grosse, Michel Majerus, Jonathan Meese, Matt Mulligan, Jeff Wall, Frank Zappa, Captain Beefheart, Marilyn Manson
Cross-Mapping: Wechselverhältnis von Kunst und Musik, individueller expressiver Free Jazz, Rockvideos mit Narration, digitale Soundmanipulationan sind am konnektivsten, Abschied von Zwang und Virtuosität, Kunst kommt nicht von Können, sondern von Müssen (A. Schönberg)
Mainstream
Erschließung neuer Märkte, inszenierte Kooperationen
Marina Abramovic, + Jay Z, Lady Gaga
Institutionalisierung von Kreativität
Selfie, DIY, Soziale Netzwerke, Influenzer, Autobiographie, eigene Identität als künstlerischer Gegenstand:
Dieter Roth, Christoph Schlingensief, Hanne Darboven, Tracy Emin, Laurie Anderson: Heart of a Dog, 2015, Jonathan Meese
Gesamtkunstwerk:
Schlingensief, Meese, Anohni (transgender)
Virtuelle Realität, v.a. auf Instagram:
Banksy, Nicolas Jaar: Telas, 2020, Duo 18+
Musikalische Grafik
hybride audiovisuelle Kunstformen, alternative Formen von Musiknotation, Trigger zur Improvisation:
Earle Brown: December, 1953 (Mobile) aus der Serie „Folio“
John Cage’s Buch: Notationen,1969
Erhard Karkoschka: Das Schriftbild der neuen Musik, 1965
Bilder sind nicht lesbar, nur interpretierbar.
Visuelle Kommunikationstheorie: Information wird konnotativ (unbrauchbar für normative Notation), denotativ (Grundbedeutungen – z. B. von links unten nach rechts oben wird als aufsteigende Tonhöhe verstanden, sehr beschränkt verwendbar für Notation) oder präzise (unbrauchbar für alternative Notation) vermittelt.
Animation, Desktop-publishing Software (Blender), Film, Video, transmedial, Länge und Struktur, Zuordnung von Farben und Instrumenten
Cat Hope: Scrollen zur Leseposition in der Partitur
Ryan Ross Smith: bewegliche Zeiger, Abspielköpfe oder Trigger
kurze Textangaben, Austausch von Daten
Künstliche Intelligenz und Künstlerische Improvisation
„Künstliche Intelligenz (K.I.) / Artificial Intelligence (A.I.) gibt es nicht. Aber ein Ensemble von Maschinen, Medien, Programmen, Algorithmen, Hardware und Software hat zu einem außerordentlich großen, vielteiligen und produktiven Forschungsfeld geführt, das A.I. genannt wird,“ (Peter Weibel, AAA, Kunstforum International, Bd.278, 2021)
K.I. Improvisation ist im Vergleich zu einer von Menschen ausgeführten künstlerischen Improvisation eine spürbar seelenlose Sache. Künstlerische Improvisation kann aber mit den Mitteln der K.I. produktiv erweitert werden.
Die Kunst der Improvisation setzt aus ihrem Wesen heraus und gänzlich absichtslos der transhumanen K.I. etwas Widerständiges entgegen. Die Verabredung zur künstlerischen Improvisation auf offener Bühne erfordert einen Willen zur Kommunikation autonomer Individuen, zur Authentizität des Ausdrucks, zur Offenheit gegenüber dem Ungeplanten, Unkontrollierten, Zwecklosen, zur Überraschung. Die Bejahung der Kontingenz und die Bejahung der schöpferischen Zerstörung sind der Maschine wesensfremd. Die mächtigen Digitalkonzerne und Technologiefirmen, die allgegenwärtigen Überwachungssysteme und Geheimdienste, also der Kontrollkapitalismus und die digitale Gesellschaft halten nichts von Freiheit des Individuums. Menschliche Improvisation ist nicht kontrollierbar. Sie ist nicht monopolisierbar. Der herrschaftsfreie Diskurs der Improvisation benötigt eine offene Gesellschaft von freien Individuen.
Damit K.I. für Künstlerische Improvisation konstruktiv genutzt werden kann, muss der Zugang zu den Ressourcen frei sein.